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KARL-LEISNER-JUGEND |
Die Glaubwürdigkeit der Evangelien
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Über die Historizität des Alten Testamentes etwas zu sagen, würde den Rahmen der Jugendkatechese sprengen. Sicherlich sinnvoller ist es, sich auf die Evangelien zu konzentrieren. Wollen die Evangelien nur "erzählen" (so die Ausdrucksweise, wie wir sie landauf, landab finden, selbst bei hohen Vertretern der Kirche ...) oder kann man sagen: Hier wollen qualifizierte Zeugen etwas überliefern (tradere)?
Ein weiteres ist wichtig: Die Glaubwürdigkeit im historischen Sinne ist notwendig, damit das, was berichtet wird, auch angenommen werden kann. Aber: auch wenn etwas historisch glaubwürdig ist, dann bedeutet das damit noch nicht automatisch etwas für den (existentiellen) Glauben als solchen. Ein Verkehrsunfall kann exakt dokumentiert sein: er muss mein Leben nicht notwendigerweise prägen und verändern, wie es mein Glaube tut.
Auch wenn ich historisch sauber und umfassend beweisen könnte: Jesus hat die verdorrte Hand wirklich geheilt, so muss der Glaube doch noch mindestens einen Schritt weiter tun und sagen: Der das getan hat, Jesus Christus, hat damit ein Wunder vollbracht, das mir hilft, ihn als Messias, als Heiland der Welt, anzunehmen. Das (glaubwürdige) Wunder führt zum Glauben an Ihn, in dem alle Kräfte des Heils wirken.
Mit anderen Worten: Zwischen den glaubwürdig bezeugten Ereignissen und der persönlichen Annahme des Glaubens an Gott muss die Brücke des Vertrauens von Person zu Person - von Mensch zu Gott - gespannt werden. Berichtet mir ein guter Freund, zu dem ich volles Vertrauen haben darf, eine Begebenheit, die ungewöhnlich, unwahrscheinlich, außergewöhnlich ist ...: ich bin eher bereit, ihm das zu glauben, weil ich ihm glaube, der mir das berichtet.
Manche haben diesen Charakter des Glaubens als Vertrauen, Hingabe, persönliches Sichübereignen ... so sehr überdehnt, dass sie sagen: Es kommt in den Evangelien gar nicht auf die historische Authentizität an. Den Evangelisten ging es nicht darum, historische Ereignisse zu berichten. Nicht darum, was Jesus getan hat, sollte dargestellt werden, sondern wer er für uns ist. - Und um das zu erreichen, haben sich die Evangelisten allerhand Stilmittel bedient, z.B. Wundererzählungen, Legenden, ausschmückende, orientalisch-übertreibende Darstellungen und manches mehr.
Trotzdem wird man die eine Frage stellen müssen: Wie soll das gehen, zu zeigen, wer Jesus ist, wenn nicht zugleich auch gezeigt wird, was er getan und gesagt hat? Beides gehört verstandesgemäß zusammen. Und eine wesentliche Eigenschaft des Glaubens ist es übrigens, den Verstand nicht auszuschalten, sondern ihn zu seiner eigentlichen Bestimmung zu erheben.
Am 2. Ostersonntag, dem "Weißen Sonntag", hören wir jedesmal aus dem Johannesevangelium die Episode vom "ungläubigen Thomas", der die Wundmale Jesu berühren will und dann erst bereit ist, zu glauben (Joh 20). Dass dieser Apostel der "ungläubige" genannt wird, ist ein wenig unglücklich ausgedrückt. Denn Thomas verkörpert im Grunde den modernen Menschen: der moderne Mensch (und, wie wir an Thomas sehen, auch schon der antike ....) sucht Glaubwürdigkeitskriterien. Für Thomas war das: den Auferstandenen anrühren zu können. Thomas hatte, was oft leider übersehen wird, schon eine Vorentscheidung getroffen, die nicht unwichtig ist: Er wollte glauben. Aber sein Glaube sollte von einer möglichst großen Gewissheit getragen sein. Dass er nach seiner Begegnung mit Jesus und nachdem ihm dieser seinen Wunsch erfüllt hatte, wirklich glaubte und sogar ausruft "Mein Herr und mein Gott" - das zeigt, dass es Thomas wirklich ernst war mit dem Glauben an Jesus.
Es gibt auch den unlauteren Glauben, der immer neue Bedingungen erfindet, nach deren Erfüllung man bereit ist zu glauben: Wenn z.B. die Priester moderner wären, wenn der Papst nicht soviel reisen würde (und überhaupt der ganze Prunk in der Kirche), wenn die Messe am Sonntag zu einer passenderen Uhrzeit stattfände ... usw., dann fänden sich bestimmt noch andere Gründe, um mit Glauben und Kirche nichts am Hut zu haben ... Von solcher Art ist die Bedingung des Thomas nicht! Er sucht "Berührungspunkte" des Glaubens, denn als Mensch aus Fleisch und Blut will er "leibhaftig" glauben und erwartet darum vom Auferstandenen einen Ansatzpunkt in die Leiblichkeit hinein. Dass das legitim ist, bezeugt der Herr selbst, indem er Thomas zu sich ruft und ihn auffordert, Finger und Hand in die Male der Kreuzigung zu legen.
Das Beispiel des Thomas zeigt noch ein Weiteres: Der Glaube hat für uns immer einen Bezugspunkt, von dem alles ausgeht und zu dem alles hinführt. Der Bezugspunkt für unseren Glauben ist ein geschichtliches Ereignis: die Auferstehung Jesu von den Toten am dritten Tag nach seiner Hinrichtung am Kreuz. Die Kreuzigung Jesu ist ein historisch fassbares und datierbares Ereignis. Die Begegnung mit dem Auferstandenen ist somit "Schlüssel" für das richtige Verständnis der Frohen Botschaft Jesu Christi. Eine bekannte Episode kann das gut verdeutlichen: Das Gespräch der Emmausjünger am Osterabend mit Jesus.
Wie Lukas (24,13-35) berichtet, gewinnen die beiden Jünger durch die Auslegung der Schrift durch Jesus eine neue Sicht der Dinge. Sie beginnen zu verstehen, weshalb Jesus diesen Weg des Leidens und Kreuzes gehen musste. Jesus "legte ihnen dar, ausgehend von Mose und den Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht" (Lk 24,27). Das heißt: Die ganze Heilige Schrift dürfen wir auf Christus bezogen lesen. Alles weist in verborgener Weise auf den Erlöser hin, der jetzt mit ihnen spricht und der ihnen in der Herberge das Brot bricht. Ob es die Psalmen sind oder die Erzählung von Josef, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wird, ob die Geschichte von Abraham, der statt seines Sohnes Isaak einen Widder opfert, ob die Bibel das Schicksal der Propheten anspricht, oder in den apokalyptischen Texten (Daniel 7: Vision vom Menschensohn ...): immer führt der heilige Text auf Christus und seine Sendung hin.
Die Auferstehung Jesu ist das zentrale Ereignis, von dem aus alles andere verstanden werden muss. Immer wieder heißt es in den Evangelien: Die Jünger verstanden nicht, was Jesus meinte (Mk 9,10.32). Erst nach seiner Auferstehung wird ihnen der Sinn vieler Worte klar, so z.B. die Bedeutung der Aufforderung, den Tempel niederzureißen, in drei Tagen werde er ihn wieder aufrichten (Joh 2,19-22: "Er aber meinte den Tempel seines Leibes ..."). Nach seiner Verklärung sollen die Jünger schweigen, bis Jesus von den Toten auferstanden sei (Mt 17,9; Mk 9,9).
Man darf nicht einwenden, diese Vorgehensweise sei unhistorisch oder verstelle den Blick auf die historische Gestalt des Jesus von Nazareth. Ein Beispiel aus der allseits bekannten jüngeren Geschichte mag verdeutlichen, dass man immer wieder von "Schlüsselereignissen" ausgeht, um die Mitte einer Person und seine Botschaft zu verstehen. Wir wählen der Einfachheit halber das - zugegebenermaßen negative - Beispiel einer "Unperson": Adolf Hitler. Von wo aus soll man das Wirken dieses Mannes recht deuten? Normalerweise macht man es richtigerweise so: Man geht vom Ende aus. Und das ist in diesem Falle: die Katastrophe des 2. Weltkrieges, der die Welt in Brand gesetzt hat, die planmäßige Vernichtung unzähliger Juden und vieles andere, was grauenhaft ist, mehr. - Von hier aus deuten die Historiker dann auch die Jahre vorher, auch die Jahre vor 1933, der "Machtergreifung" Hitlers. Sie können zeigen: Da gibt es eine Linie, ein Programm, und viele Worte, die Hitler sprach und die vielleicht zunächst noch mehrdeutig und unklar klingen, all die finden ihre Auslegung in dem, was später geschah.
Die Apostelgeschichte berichtet von der Wahl des Nachfolgers des Judas Iskariot. Der Nachfolger muss eine wichtige Bedingung erfüllen: Er muss Zeuge der Auferstehung und des Lebens Jesu sein (Apg 1,21 f.).
Johannes berichtet in seinem Evangelium vom Tod Jesu: Ein Soldat stößt mit der Lanze in seine Seite, und heraus fließen Blut und Wasser - nicht nur symbolisch, sondern wirklich, physisch, real. Der Evangelist betont, dass der Bericht darüber von einem stammt, der es selber gesehen hat, und er beteuert, dass das Berichtete wahr ist und für wert gehalten werden kann, dass es geglaubt wird und den Glauben an Christus begründet (vgl. Joh 19,35).
Lukas beginnt sein Evangelium mit einem "Prolog". Dort legt er dar, dass er allem, worüber er berichtet, sorgfältig nachgegangen sei und bemüht ist, es richtig und der Reihe nach zu berichten.
Der Zweite Petrusbrief betont, man sei "nicht irgendwelchen klug ausgedachten Geschichten gefolgt (...), sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe" (2 Petr 1,16).
Wunder sind an sich noch keine zwingende Gründe für den Glauben. Auch der Teufel kann Wunder bewirken: er möchte auch Jesus dazu bringen, Steine in Brot zu verwandeln (Mt 4,3); er vermag Jesus mitzunehmen und ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht zu zeigen (Mt 4,8).
Dass bestimmte "wunderbare" Dinge sich tatsächlich ereignet haben, wird selbst von den Gegnern Jesu nicht bestritten. Sie versuchen aber, diese Geschehnisse auf Beelzebub zurückzuführen (Mk 3,22). Oder aber es wird ein Betrug vermutet (Joh 9,9: Heilung des Blindgeborenen; Mt 28,11-15: Der Leichnam Jesu sei gestohlen worden).
Was sind überhaupt Wunder? Man sagt landläufig: Bei einem Wunder, wenn sie denn geschähen, würden die "Naturgesetze" "durchbrochen". Es widerspricht z.B. den Gesetzen der Natur, dass ein Toter sich wieder aufrichtet und weggeht. Oder dass jemand plötzlich von einer unheilbaren Krankheit geheilt wird. Oder dass von fünf Broten und zwei Fischen eine sehr große Menschenmenge satt wird. Oder dass Jesus auf dem Wasser geht. - Alles das (oder doch das meiste davon) sei nicht wirklich so passiert; es sei "symbolisch" zu verstehen. Wenn Jesus einen Blinden "heilt", bedeute das eben: Jesus ist das Licht der Welt. Und so fort ...
Wir stoßen hier aber auf zwei Schwierigkeiten. Die erste Schwierigkeit ist der Text der Evangelien. Es heißt da eben dem Wortlaut zufolge nicht: Jesus ist das Licht der Welt, sondern: Der Blinde (bei Mk Bartimäus) konnte wieder sehen. Oder: "Da richtete sich der Tote auf" (Lk 7,15), und nicht: Jesus erzählt vom Leben bei Gott. Ohne in einen Fundamentalismus zu verfallen, müssen wir doch sagen: Die Berichte der Evangelien sind Zeugnisse, nicht Erzeugnisse der Evangelisten.
Eine zweite Schwierigkeit tut sich auf: Was wissen wir von den Naturgesetzen? Gerade in den letzten Jahrzehnten hat man erkannt, dass hier von einer statischen Eindeutigkeit nicht die Rede sein kann. Es gibt nicht "die" Natur, sondern nur das, was wir bisher an ihr erkannt haben. Im Gefolge des jüdischen Philosophen Baruch Spinoza haben bis heute immer wieder viele, auch Theologen, gemeint, Wunder im Sinne einer Durchbrechung von Naturgesetzen wirke Gott nicht, das sei seiner irgendwie nicht "würdig". Aber hier befindet man sich in einer Sackgasse. Denn vor allem steht dahinter die Vorstellung von Gott nicht als dem Schöpfer der Welt, der alles trägt und erhält, sondern von einem "Konstrukteur" oder "Weltenbauer", der die Dinge einmal in Gang bringt und dann nicht mehr eingreift. Diese Sicht nennt man auch "Deismus". Man nimmt einen Gott an, aber der spielt keine Rolle mehr.
Dem entgegen steht die biblische Sicht von Gott: Gott ist Schöpfer, und er ist treu. Er begleitet sein Volk. Er leitet es und offenbart sich durch machtvolle Taten. Und er handelt in Jesus Christus. Insofern ist es ein Zeichen seiner Liebe und väterlichen Treue, dass er in Jesus Christus wunderbar handelt.
Für den Bischof und Kirchenlehrer Augustinus sind die Wunder, die das Neue Testament von Jesus berichtet, gerade nicht erstaunlich. Denn er weiß: Gott hat ja dieses Wunder gewirkt. Erstaunlich wäre, wenn ein Mensch es gewirkt hätte.
Wie begründet Augustinus das? Nun, Gott ist Schöpfer, und die Schöpfung als fortwährendes Geschehen weist in ihren Vorgängen wie Wachstum, Vermehrung, Geborenwerden auf die Schöpfermacht Gottes hin. Diese Vorgänge sind im Grunde für uns Menschen nicht vollkommen durchschaubar. Die besonderen Wunder Jesu müssen damit im Zusammenhang gesehen werden. Sie sind im Kern nichts Außergewöhnliches für den, der an Gott glaubt, sondern nur komprimierte Vorgänge dessen, was wir in der Natur bereits beobachten können.
Augustinus sagt: "Denn der an jenem Tage bei der Hochzeit den Wein in den sechs Krügen machte, die er mit Wasser zu füllen befahl, ist derselbe, der dies jedes Jahr in den Weinstöcken tut. Wie das, was die Diener in die Krüge gossen, durch das Tun des Herrn in Wein verwandelt wurde, so wird auch, was die Wolken ausgießen, durch das Tun desselben Herrn in Wein verwandelt."
Ähnlich sieht Augustinus auch die wunderbare Brotvermehrung: Gott vervielfältigt aus wenigen Saatkörnern die Saat. So vermochte auch Christus die fünf Brote, die ihm in die Hand gegeben wurden, zu vervielfältigen, so dass alle satt wurden.
Wenn ein Mensch geboren wird, erkennt der gläubige Mensch die Macht Gottes, der alles in Leben ruft. So deutet auch Augustinus die Auferweckung des Lazarus in Entsprechung zu diesem alltäglichen, aber ebenso wunderbaren Geschehen: "Der hat einen Menschen erweckt, der den Menschen erschaffen hat. Denn er ist der Eingeborene des Vaters, durch den, wie ihr wisst, alles geworden ist. Wenn also durch ihn alles geworden ist, was Wunder, wenn einer durch ihn aufersteht, da doch täglich so viele durch ihn zum Leben kommen? Es ist mehr, Menschen zu erschaffen als zu erwecken ... Er hat einen bereits Riechenden wieder erweckt, aber dennoch war in dem riechenden Leichnam noch die Gestalt der Glieder ..."
Augustinus ist überzeugt: Einen Widerspruch zwischen Naturordnung und Jesu Wundertaten kann es nicht geben. Und wenn der Mensch meint, darin Widersprüchliches zu entdecken, dann liegt das in der Unfähigkeit des Menschen, die Zusammenhänge glaubend zu erkennen, nicht aber in der mangelnden Souveränität Gottes oder in seinem Bestreben, seine Schöpfung noch irgendwie nachträglich "nachzubessern".
Wunder sind Weckmittel Gottes, um den Menschen aus seinem Schlaf aufzurütteln und ihn zum Glauben an seine Macht und Treue zu führen. Aber es ist natürlich sinnlos, nach der Bedeutung von Wundern zu fragen, wenn sie gar nicht geschehen sind. Die Frage, die uns heute beschäftigt, ist ja die: Ist das, was da berichtet wird, auch wirklich glaubwürdig? Oder hat der recht, der meint, von Jesus wissen wir historisch eigentlich gar nichts; das, was wir sicher wissen, passe auf eine Postkarte?
Am Beispiel des Wunders sollte deutlich gemacht werden, von welchem Horizont wir ausgehen wollen: Rechnen wir mit der grundsätzlichen Möglichkeit, dass manches Außergewöhnliche und Wunderbare, das in der Bibel berichtet wird, geschehen sein kann, oder tun wir das nicht? An erster Stelle steht also die grundsätzliche Bereitschaft, das möglich zu halten, was wir lesen. Wir haben gesehen, am Beispiel der Wunder, dass wir durchaus auch mit unserm Verstand und mit den Mitteln unserer Vernunft an diese Frage herangehen können.
Darüber hinaus aber gibt es weiterreichende Kriterien für die Glaubwürdigkeit dessen, was uns die Evangelisten überliefern. Diese seien summarisch genannt:
1. Die Sicherheit der Textüberlieferung. Kein antiker Text ist so sicher und eindeutig bezeugt wie der Text der Evangelien. Die zahlreichen Varianten, die wir in einer kritischen NT-Ausgabe aufgelistet finden, zeigen uns, dass die Abweichungen praktisch nur Nebensächliches betreffen. Als heiliger Text hat das NT von Anfang an höchste Achtung genossen.
2. Das Alter der Texte. Die ältesten erhaltenen Evangelienfragmente reichen in die Zeit vor der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 zurück. Auch rein vom Text her besteht kein Anlass, die Evangelien später zu datieren, wie es viele Exegeten tun, die von der Ankündigung des Untergangs der Stadt Jerusalem her argumentieren und sagen: Das kann nur (redaktionell) vom Evangelisten nach der Katastrophe des Jahres 70 niedergeschrieben worden sein. - Im Gegenteil: Viele Redewendungen (z.B. Joh 5,2: Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich ...) und äußere Umstände, z.B. die Beschreibung der Auseinandersetzung Jesu mit den Juden und auch der abrupte Schluss der Apostelgeschichte legen den Schluss nahe, dass die heiligen Texte schon recht bald fixiert worden sind, jedenfalls in einer zeitlichen Nähe, die ein genaues Erinnern noch sehr gut erlaubt.
3. Die Variationen und Unterschiede im berichteten Geschehen: In vielen parallelen Texten, vor allem bei den Synoptikern, gibt es Abweichungen und z.T. sich widersprechende Aussagen. Dazu genügt es, eine Synopse zur Hand zu nehmen. Bei Mt kommt der Hauptmann von Kafarnaum selbst zu Jesus (Mt 8,5), während er bei Lk Älteste zu Jesus hinschickt und ihm durch sie sein Anliegen vorträgt (Lk 7,3). Für den Historiker sind aber solche Unterschiede gerade ein Hinweis für Glaubwürdigkeit und Echtheit. Hätten die Evangelisten erdichtet und erfunden, hätten sie die Geschichten sicherlich harmonisiert, um keinen Verdacht zu erregen. Aber hier brauchten sie keine Sorge zu haben, denn sie wussten, dass viele, die dabei waren, als das Berichtete geschah, das selber gesehen und erlebt hatten und es bestätigen konnten.
Der Vergleich der Texte zeigt überdies, dass die Unterschiede meist nicht so groß sind, wie manchmal dargestellt. Oft handelt es sich nur um sprachliche Variationen. Ob es nun heißt, dass Männer den Gelähmten auf seinem Bett herbeitrugen (Lk 5,18) oder ob es heißt, dass er "von vieren getragen" wurde (Mk 2,3), tut wenig zur Sache: man darf annehmen, dass Markus nicht sagen wollte, dass die Helfer den Kranken an Händen und Füßen herbeischleppten, sondern dass der Evangelist es einfach nicht für nötig befand, das Bett eigens zu erwähnen, weil es ihm selbstverständlich erschien, dass der Kranke in einem solchen lag.
Als Paulus im Ersten Korintherbrief von der Auferstehung spricht und Wert darauf legt, dass es sich um ein geschichtlich fassbares Ereignis handelt, um ein tatsächliches Geschehen (1 Kor 15), da sind seit den Ereignissen gerade einmal 20 Jahre vergangen. Zum Vergleich: Die erste bemannte Mondlandung gelang vor 30 Jahren, in Rheine explodierte vor gut 20 Jahren bei Ausschachtungsarbeiten für das neue Rathaus eine Bombe aus dem 2. Weltkrieg, und vor knapp 10 Jahren fiel die Berliner Mauer. - Man kann mühelos noch zahlreiche Zeugen finden, die detaillierte Angaben, wenn nicht über die Ereignisse selbst, so doch wenigstens über die Auswirkungen des Geschehenen und Reaktionen der Menschen machen können. Niemand bezweifelt, dass diese Dinge tatsächlich geschehen sind.
Paulus selbst spricht von 500 Augenzeugen (1 Kor 15,6), von denen viele noch gelebt haben dürften. Und Paulus betont, dass seine Predigt den gleichen Inhalt habe wie die der Apostel (1 Kor 15,11).
Bei der Wahl eines neuen Apostels als Ersatz für Judas Iskariot wird Wert darauf gelegt, dass der Apostel "Zeuge der Auferstehung" sein müsse (Apg 1,21 ff.). Natürlich war niemand "dabei", als Jesus von den Toten auferstand. Aber hier bedeutet "Zeuge" dies: Er hat Jesus, den Auferstandenen, leibhaftig gesehen. Er hat seine Worte gehört, die er sprach. Und er war Weggefährte Jesu in der Zeit seines öffentlichen Wirkens.
Ein Einwand lautet: Die Auferweckung Jesu gehöre einer anderen Ebene der Wirklichkeit an. Sie sei grundsätzlich nur dem Glauben zugänglich. Sie sei "kein historisches Ereignis in dem Sinne, dass sie in den Gang der Geschichte eingeordnet und der Vernunft begreiflich gemacht werden könnte". - Was sich hier sehr fromm und gescheit anhört, ist in Wirklichkeit ein gefährlicher Irrtum. Der Irrtum besteht darin, dass man meint, die Geschehnisse, die den Glauben begründen, könnten nicht mit den Mitteln der Vernunft erschlossen und zugänglich gemacht werden. Im Gegenteil: Der Versuch, das zu tun, mit Mitteln der Wissenschaft beispielsweise sich den Wundern Jesu anzunähern und aufzuzeigen, dass sie tatsächlich einzigartig sind, wäre ein Verstoß gegen den Glauben, wo doch der Glaube Vertrauen bedeute und nicht kritisches Nachfragen auf dem Boden der Wissenschaften.
Ein Beispiel aus eigenem Erleben: Das Turiner Grabtuch ist ein einzigartiges Textil, das das Geschehen der Kreuzigung in unvergleichlichem Realismus abbildet. Bis heute ist nicht restlos geklärt, wie ein solches Stück Stoff sich überhaupt über einen derart langen Zeitraum so gut erhalten konnte, geschweige denn, wie überhaupt das Abbild auf den Fasern des Tuches entstehen konnte (das Bild ist nicht aufgemalt oder irgendwie durch Abdruck entstanden, sondern ergibt sich durch äußerst feine Versengung der oberen Faserschichten - somit ist es auch ein "dreidimensionales" Bild). - Als ich in Pfarreien und Gruppen die Ergebnisse der Forschung und die Geschichte des Tuches mit Dias und Texten vortragen wollte, bekam ich nicht selten Widerstand zu spüren. Man machte mir deutlich: Hier wolle man die Auferstehung Jesu "beweisen" und Ergebnisse der Forschung so ausschlachten, dass sie den Glauben an Christus mehr oder weniger "unanfechtbar" machten. - Glaube sei dagegen doch Wagnis, Ungewissheit, Vertrauen und gerade dadurch definiert, dass er auf jedwede Sicherung verzichte. So sei die Vorstellung des Turiner Leichentuches kein geeignetes Thema etwa für die Fasten- und Osterzeit.
Inzwischen ist die Diskussion etwas entkrampft worden, aber Nachwirkungen dieses Verdiktes aus der alten Bultmann'schen Schule gibt es nach wie vor. Rudolf Bultmann, ein evangelischer Theologe, trennte radikal den "Christus des Glaubens" vom "Jesus der Geschichte" und sagte: Man darf überhaupt nicht nach dem "historischen Jesus" fragen, das ist theologisch illegitim. - Hier haben wir das Verbot, weiterzufragen und Glaube und Vernunft in ein fruchtbares Gespräch miteinander zu bringen. Ein solches Verbot ist aber für jemand, der gewohnt ist, den Dingen auf den Grund zu gehen und der zugleich bereit ist, zu glauben, das heißt einem glaubwürdigen Zeugnis fest zu vertrauen, nicht annehmbar.
Für den, der sich kritisch mit der Osterbotschaft von der Auferstehung Jesu befasst, stellt sich irgendwann das Problem, dass es über die Osterereignisse verschiedene Erzählstränge gibt, die sich schwer miteinander harmonisieren lassen: Zum Beispiel sprechen die ersten drei Evangelisten von mehreren Frauen, die zum Grab gehen, Johannes hingegen erwähnt nur Maria aus Magdala (Joh 20,1). Johannes erwähnt zudem die beiden Jünger, Petrus und den, den Jesus lieb hatte, während die anderen drei Evangelien darüber schweigen. Auch die Worte, die der Engel am Grab zu den Frauen gesagt haben soll, sind in den Texten sehr unterschiedlich. Auch gibt es Passagen, die nur ein einziger Evangelist erwähnt, zum Beispiel die Emmausgeschichte, die von Lukas überliefert wird (Lk 24,13-35). - Schließlich wird noch hinzugefügt: Ob das Grab wirklich leer war, wissen wir gar nicht. Paulus, dessen Briefe älter sind als die Evangelien, schreibt überhaupt nichts von einem leeren Grab.
Was kann man dazu sagen? Sicher eine ganze Menge. Zunächst: dass Aussagen Unterschiede aufweisen, muss nicht heißen, dass sie sich widersprechen. Bedenken wir: Es sind Ereignisse gewesen, die für die Jünger Jesu und für die Frauen überaus verwirrend gewesen sein müssen. Sie brauchten eine ganze Zeit, um mit dem Erlebten fertig zu werden und ihre Zweifel und Fragen zu verarbeiten.
Zweitens: dass verschiedene Personen verschiedene Schilderungen liefern, die zunächst schwer miteinander vereinbar erscheinen, ist keineswegs ein Grund, das Berichtete zu bezweifeln. Im Gegenteil. Wenn z.B. Zeugen einen Unfall schildern, kommt es häufig zu höchst unterschiedlichen Aussagen. Bei dem einen ist das Auto rot gewesen, für den anderen blau. Der eine hat nur einen Verletzten gesehen, der andere mehrere usw. - Für den Polizisten oder Richter ist das gerade nicht Anlass, den Bleistift wegzulegen und zu sagen: Das Ganze ist ja doch unhistorisch, sondern ein Hinweis auf größere Glaubwürdigkeit. Denn hätten mehrere Zeugen etwas erfunden, würden sie versucht haben, den fiktiven Bericht einheitlich zu gestalten und so zu harmonisieren, dass kein Verdacht aufkommt.
Bei den österlichen Zeugnissen der Evangelien scheint mir, dass diese schon sehr früh fixiert gewesen sein müssen und für so sakrosankt angesehen wurden, dass man es nicht wagte, sie nachträglich noch zu harmonisieren oder in eine stimmige Chronologie zu bringen. Man ließ das Erzählte einfach stehen, weil man wusste: Die Zeugen, von denen wir das haben, sind glaubwürdig. Und auf Vollständigkeit in der Chronologie und im Handlungsablauf kam es nicht an.
Es kam auf das Eine an, und das stimmt in allen Zeugnissen überein: Das Grab ist leer, Jesus ist wirklich auferstanden von den Toten, und er ist über einen gewissen Zeitraum hinweg immer wieder bestimmten Personen und Gruppen erschienen und hat ihnen gezeigt, dass er lebt.
Interessant ist übrigens, wie zuweilen versucht wird, mit fragwürdigen Argumenten die Historizität des Berichteten in Zweifel zu ziehen. Ein Beispiel kann das deutlich machen. So wird etwa behauptet: Die Salbung eines Leichnams nach drei Tagen sei wegen des heißen Klimas, das in Palästina herrsche, unsinnig. Dieses Detail zeige bereits, dass es sich bei den Texten nicht um die Darstellung von Geschichte, sondern um Geschichten handelte, die frei formuliert seien und bei denen es nicht um historische Ereignisse, sondern um theologische Aussage ginge.
Darauf kann man den, der solche Einwände formuliert, nur einladen, einmal wirklich nach Jerusalem zu kommen, das 800 m über dem Meeresspiegel liegt und wo es gerade in den Nächten zur Osterzeit noch empfindlich kalt sein kann. - Im übrigen geht es nicht um eine Salbung nach drei Tagen, sondern "am dritten Tag". Jesus starb am Kreuz am Freitagnachmittag vor Anbruch des Sabbat. Das war der "erste Tag". Da konnte noch keine Salbung erfolgen, denn die Beisetzung Jesu erfolgte in Eile. Am "zweiten Tag", dem Sabbat, war eine Salbung nicht möglich, weil ein gläubiger Jude an diesem Tag nicht arbeiten durfte. So ist es folgerichtig, dass die Frauen sich in der Frühe des dritten Tages, am Tag nach dem Sabbat, aufmachten, um die Salbung des Leichnams nachzuholen. - An dem so berichteten Vorgang ist also überhaupt nichts Ungewöhnliches oder Unwahrscheinliches für den, der die Verhältnisse auch nur ein wenig kennengelernt hat.
Auf der anderen Seite zeigt die Kritik und die Infragestellung, dass man manchmal unbedingt darauf hinaus will, den Evangelientexten jede historische Aussagekraft zu nehmen und dabei auch vor kuriosen Einwänden nicht zurückschreckt.
Die Evangelien bieten uns kein vollständiges, geschlossenes Bild von Jesus Christus. Das war und ist auch gar nicht ihre Absicht. Die Evangelien sind letztlich ein Glaubenszeugnis über Jesus, den Sohn des lebendigen Gottes, aber eben ein sehr ernst zu nehmendes und glaubwürdiges Zeugnis. Die Evangelien sind Zeugnisse, nicht Erzeugnisse. Sie schildern Tatsachen, nicht Erfindungen. Tatsachen freilich, die oft genug über unseren (kleinen) Verstand und über unser Fassungsvermögen hinausgehen.
Es gibt viele innere Kriterien, die uns zeigen können, dass wir der Botschaft der Evangelisten und Apostel wohl vertrauen können. Einige davon seien abschließend genannt:
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Die Farbigkeit und der Reichtum in der Darstellung der Person Jesu: Jesus übertreibt: Bildwort vom Kamel und dem Nadelöhr; Gleichnis vom unbarmherzigen Schuldner (Mt 18,23-35);
Jesus spottet (Herodes ein "Fuchs", Lk 13,32) und schimpft gegen Pharisäer und Schriftgelehrte (Mt 23,1-19);
er ist nicht nur sanftmütig, sondern vertreibt auch die Händler (vielleicht sogar auch Händlerinnen?) mit Gewalt aus dem Tempel;
er hat Mitleid mit den Sündern, aber er sagt auch: "Geh hin und sündige von nun an nicht mehr" (Joh 8,11). -
Der Realismus und die Selbstkritik der Jünger Die Jünger werden nicht als unerschrockene, tapfere Schar, als Elite und edelmütige Stoßtruppe der glorreichen Botschaft Jesu geschildert, sondern sie werden vorgeführt als unverständig und ehrsüchtig (noch im Abendmahlssaal gibt es einen Rangstreit unter den Jüngern, Lk 22,24), als kleinmütig im Glauben und feige (Sturm auf dem See). Bei der Gefangennahme nehmen sie Reißaus; sogar Petrus, der "Fels" (Mt 16,18), verleugnet seinen Meister. Nach der Auferstehung Jesu haben sie Mühe, den Herrn überhaupt zu erkennen (Joh 21,4). Diese Fähigkeit zur Selbstkritik ist nicht nur ein Kriterium für die Glaubwürdigkeit, sondern auch ein Aufruf an die Kirche aller Zeiten, nicht überheblich und selbstzufrieden zu werden.
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Die Schilderung der Lebensumstände und der sozialen Bezüge Die neutestamentlichen Zeugnisse enthalten eine ganze Fülle von Informationen über den Glauben des Volkes, ihre Sorgen und Ängste, über Krankheiten, über Feste und Feiern, über Hierarchien und Konflikte, über ökonomische Probleme und vieles mehr. Etliches hat sich durch Ausgrabungen und außerbiblische Zeugnisse bestätigt. Die Evangelien sind nach wie vor eine Fundgrube nicht nur für den gläubigen Leser, sondern auch für den, der sich für die Zeit und die Welt, in der Jesus lebte, interessiert.